
Homeschooling – Unschooling – Ich habe die beiden Begriffe im letzten Post schon erwähnt, ohne genauer auf sie einzugehen. Damit wir auch dasselbe meinen, will ich hier versuchen dies zuerst ganz kurz nachzuholen:
Homeschooling
Das ist, wenn man «die Schule nach Hause nimmt», sozusagen. «Bildung zu Hause» ist da ein auf Deutsch ebenfalls oft genannter Begriff. Lehrer sind zumeist die Eltern, sie können natürlich auch jemand anders dafür bestimmen. Entweder lernen die Geschwister einer Familie zusammen in einer Gruppe – oft schliessen sich aber auch mehrere Familien zusammen und gestalten das Lernen gemeinsam. Der Plan, was gelernt werden soll, bestimmen die Eltern, sonstigen Lehrpersonen, respektive der offizielle Lehrplan.

Unschooling
Ist wahrscheinlich der bei uns weniger bekannte und verbreitete Begriff. Übersetzen würde man das in etwa mit «Unschulen». Unschooling ist ebenfalls Homeschooling, mit dem Unterschied, dass hier die Kinder den Lehrplan, sowie auch das Tempo und den Stundenplan selbst bestimmen. Respektive, dass es solche gar nicht gibt, auf alle Fälle nicht für die Kinder ersichtlich.
Die meisten Familien finden sich irgendwo in der Mitte der Bandbreite zwischen Homeschooling und Unschooling. Finden ihren Weg irgendwo dazwischen, Abhängig von ihren individuellen Möglichkeiten, dem was „erlaubt ist“, dem Bedürfnis der Kinder und dem was sie sich vorstellen können. Wir waren die grössere Zeit ziemlich weit auf der Unschooling-Seite. Haben aber situationsbedingt phasenweise auch „Ausflüge“ in die eher andere Richtung gemacht.

Zweifel an diesem Konzept
Egal ob du den Begriff „Unschooling“ schon gekannt hast oder ob er neu für dich ist – wenn es dir gleich geht wie mir dazumal, und wie den meisten Menschen, kommen da sofort diverse Fragen hoch. Die lautesten und ersten davon tönen wahrscheinlich in etwa so:
– Wie soll das gehen?
– Lernen denn die Kinder so überhaupt etwas, wenn sie nicht müssen?
– Und was ist mit den Bildungslücken, welche entstehen?
– Verpassen sie da nicht viel wichtiges?
Darüber will ich gerne hier ein paar Gedanken und Erfahrungen mit dir teilen:
Zuerst mal kurz vorweg – ja, Kinder lernen gerne. Wie schon hier mal erwähnt, Kinder lernen von Tag Eins an, genaugenommen schon seit früher. Kinder lernen circa von dem Moment an, an dem sie erste ausgebildetete Sinne haben, mit denen sie ihre, zu diesem Zeitpunkt noch sehr kleine, begrenzte Welt, erfahren können.
Von Tag Eins an geht es dann so richtig los: Ein gutes Jahr später laufen die meisten selbstständig herum, interagieren fit mit ihrer Umwelt und sind gerade dabei sich die Sprache zu erobern. Je nach Familienverhältnis sind das möglicherweise auch gleich zwei oder sogar drei Sprachen gleichzeitig.
Es gibt einfach keinen guten Grund, warum dies plötzlich – so ungefähr ab Schulalter – anders sein sollte.
Wenn es dann trotzem anders wird, dann liegt das Hauptsächlich an zwei Gründen:
- 1. In der Schule ist ihnen das Lernen offensichtlich verleidet.
- Was allermeistens Gott sei Dank nicht vollständig passiert – fast jeder hat trotzdem noch Lebensgebiete, zum Beispiel Hobbys, bei denen er oder sie interessiert sein kann und freudig und freiwillig lernt.
- 2. Wir Eltern haben ein ganz bestimmtes Bild im Kopf wie Lernen denn aussehen soll – und wenn es in der Realität dann etwas anders aussieht, erkennen wir den Vorgang oft nicht mal als solchen.
Die Rolle des Spielens
Was ich aus meiner Erfahrung sagen kann ist: Der Alltag beim Unschooling sieht tatsächlich selten so aus, wie sich die meisten Menschen „Lernen“ vorstellen. «Die spielen ja einfach den ganzen Tag…» Ja, genau – genau das tun sie tatsächlich 😉
An dieser Stelle wage ich zu fragen: «Wofür wurde denn das Spiel in der Natur erfunden?» Ist es nicht genau dazu da, um die Dinge sich eben «spielerisch» anzueignen, was man dann später so braucht? Egal ob das jetzt ein Hundewelpe ist, der sich mit seinen Geschwistern rauft – oder ein Menschenkind, welches in einem Spiel beschäftigt ist…

Ich behaupte: Egal welches Spiel, es dient immer auf die eine oder andere Weise der Entwicklung. Auf diese Idee werde ich später in einem anderen Post noch genauer eingehen. Ich behaupte nämlich nicht nur, dass das Spiel immer der Entwicklung dient, sondern eigentlich alles was wir tun. Das scheint vielleicht wie eine etwas grosse Aussage – ich werde sie darum in einem eigenen Text versuchen darzulegen.
Das was wir Eltern in aller Regel unter «Lernen» verstehen, dass passiert dann leicht und fast unbemerkt, inmitten all dem Spielen. Das behaupte ich jetzt nicht einfach, sondern dass ist meine eigene dreifache Erfahrung und vielfache Beobachtung.
Immerhin, so quasi als Beweismaterial komme ich nochmals zurück auf das kleine Kind: Wenn wir einem Einjährigen zuschauen – wo genau passiert «das Laufenlernen»? Ja, klar kann man mal sehen, wie er oder sie „übt“ – aber das scheint lediglich wie kleine Episoden im Alltag. Und auf keinen Fall jemals mühselig auf irgendeine Art. Im Gegenteil – immer leicht und im freudigen Spiel versteckt.
Wird dieses Spiel, aus welchen Umständen auch immer, zu oft zu stark gestört, findet auch keine ädequate Entwicklung statt. Das ist bekannt.
Aber – wenn das Kind nur lernt was es will – gibt es da nicht Bildungslücken?
Das Lernen kann also auch weiterhin, in der Schulzeit, leicht und spielerisch sein. Wahrscheinlich sagst du jetzt: «Okay, das habe ich verstanden, Kinder können auch in der Schulzeit aus eigenem Antrieb weiterlernen. Aber lernen sie auf diese Weise denn alles was sie wissen müssen? Ich zum Beispiel hätte nie freiwillig Mathe angeschaut.» (Oder Deutsch, oder Franz, das Fach lässt sich hier beliebig anpassen.)
Die Antwort darauf ist ebenfalls wieder vielfältig wie das Leben selbst. Aber kurz zusammengefasst kann ich sagen:
1. Ja – Bildungslücken entstehen, das lässt sich gar nicht vermeiden.
2. Die entstehen allerdings immer. Egal in welchem Setting ein Kind sich entwickelt – öffentliche Schule, Privatschule, Homeschooling, Unschooling. Oder willst du behaupten, du wüsstest alles was es da um dich herum so zu wissen gibt? Ich jedenfalls tue es nicht…
3. Wenn ein Unschooler in seinem Leben mit so einer Wissenslücke konfrontiert wird, kann er sie problemlos und schnell füllen.
Wenn ein Mensch die Freiheit hatte, sich jederzeit das anzueignen, was für ihn zu dem gegebenen Zeitpunkt relevant und spannend war – warum sollte denn auch das nicht einfach so bleiben? Immerhin hat er von Beginn an immer wieder die Erfahrung machen dürfen, dass er jederzeit alles Lernen konnte was er wollte und gerade brauchte. Diese Erfahrung wird im Leben mitgenommen.
Ein eigenes Beispiel: Wissenslücke „Schnürlischrift“
Ein kleines Beispiel von uns hier: Meine zwei älteren haben zwar natürlich geschrieben, aber es war ihnen relativ egal wie das ausgesehen hat. Hauptsache man konnte es lesen. Sie waren nicht dazu zu bewegen, sich irgendwie für Schönschreibung oder ähnlichem zu interessieren.
Schliesslich entschlossen sie sich dafür für die Oberstufe in die öffentliche Schule zu wollen. Dafür schulten wie die Grössere dann in der 6. Klasse, die Mittlere entspechend in die 5. Klasse ein.
Dort stellten sie fest, dass alle anderen Kinder in «Schnürlischrift» schrieben. Die Lehrerinnen erklärten zwar, dass es für sie ok sei, auch einfach in ihrer Schrift zu schreiben. Das wollten jedoch beide nicht.
Also sassen sie dann da, mit einem Blatt mit den Buchstaben in Schnürlischrift als Vorlage – und schrieben ihre Aufgaben gleich in Schnürlischrift. Das hat sie in den ersten paar Tagen natürlicherweise recht viel Zeit gekostet und das Schreiben ging sehr langsam. Es wurde dann aber bald schneller und von da an schrieben sie mühelos in dieser Schrift.
Beide haben also diese Schrift zu ihrer Zeit gelernt, und in diesem Moment ging es (fast) wie nebenbei – immerhin haben sie dazumal sich ja nicht nur mit der Schrift auseinandergesetzt, sondern gleichzeitig ein neues Schulsystem kennengelernt und sich darin integriert.
Wesentlich ist also „was man damit macht“
Wesentlich ist nicht, dass man keine Bildungslücken hat, was ja gar nicht mal möglich ist – wesentlich ist die innere Gewissheit, dass man die jederzeit füllen kann, wenn es denn im Leben relevant werden sollte.
Und genau dieses innere Gewissheit, die darf sich beim Unschooling besonders stark entwickeln.