
Viele von uns Erwachsenen haben dieses Gefühl, dieses innere Bedürfnis aus sich heraus etwas lernen oder machen zu wollen, leider zum grossen Teil schon fast verlernt. Respektive haben wir oft weitgehend vergessen, dass wir es mal hatten.
Daher ist es für viele Eltern auch schwierig, darauf zu vertrauen, dass ihre Kinder, von innen nach aussen motiviert, so einfach lernen können.
Bei vielen Erwachsenen ist es wohl schon länger her, seit sie das letzte Mal so engagiert bei einer Sache waren, dass sie die Zeit vergessen haben. Einfach so absorbiert von der Gegenwart und dem zu lösenden Problem – dass sie ganz darin aufgingen.
Lernen von innen heraus ist unser natürlicher Zustand!
Einmal war das aber unser natürlicher Zustand. Könnte es immer noch sein. Wenn nicht zu viel Druck, Erwartungen, Belohnungen und Strafen uns das weitgehend abtrainiert hätten. Ein kleines Kind, das geboren wurde, kann wortwörtlich noch gar nicht anders, als aus innerer Begeisterung heraus zu lernen. Es fühlt sich zum Beispiel glücklich, wenn es angelächelt wird und will dieses Gefühl ausdrücken, zurückgeben. Es lernt zu lächeln. Noch vorher hat es Trinken gelernt. Einfach weil es sich gut angefühlt hat. Niemand konnte ihm das beibringen.
Jetzt sieht es voller Spannung, wenn die Leute um es herum Dinge tun, wie zum Beispiel aufstehen, laufen oder miteinander sprechen. Aus innerem Antrieb heraus, übt es solange, bis es all diese Dinge auch kann. Stundenlang. Tag für Tag. Mit unermüdlicher Ausdauer.

Wenn es zum Beispiel vergnügt Töne vor sich hin brabbelt, welche ganz klar den gleichen Rhythmus haben wie was Mama eben gesagt hat, aber vom Inhalt her nur ganz entfernt an das Gesagte erinnern, dann freut es sich an dem getroffenen Rhythmus. Es kümmert sich nicht um den noch nicht wirklich gleich tönenden Inhalt, es hat auch kein Problem damit, nicht gut genug zu sein. Es ist einfach da und übt glücklich vor sich hin. Freut sich an dem, was ihm gelungen ist. Will es wieder und wieder machen – bis es irgendwann müde einschläft. Oder hungrig nach Essen schreit. Und es wird erfolgreich sein.
Niemand hat die Idee, einem kleinen Kind zu sagen, es soll jetzt endlich mal sprechen üben. Niemand gibt ihm Noten, Sternchen, oder gar einen Bonbon, wenn es ein neues Wort gelernt hat. (Hoffe ich jedenfalls mal…) Niemand sagt einem kleinen Kind, es solle jetzt endlich mal aufstehen und einen Schritt machen. Das würde auch gar nichts nützen. Höchstens verwirren.
An dieser Stelle – ich erinnere mich zum Beispiel noch gut daran, wie meine erste Tochter das freie Gehen für sich entdeckt hat. Ein vorsichtiger, noch zögerlicher Schritt, noch einer, noch einer – und ein Strahlen über das ganze Gesicht. Kurze Zeit später ist sie für geschlagene zwei Stunden im Kreis gelaufen: Stube, Esszimmer, Küche, Stube, Esszimmer, Küche…. Rundum und rundum. Jedes Mal, wenn sie an mir vorbeikam, ein grosses Lachen im Gesicht. Aber keine Zeit für einen Stopp. Einfach immer weiter und weiter. Einfach an der Freude am Laufen. An der neu entdeckten Fähigkeit.
Keine künstliche Belohnung hätte mehr motivieren können, soviel ist sicher.
Und dann?
Aber dann? Warum denken wir, dass diese innere Begeisterung so etwa ab dem Kindergarten, oder aber spätestens ab dem Schulalter aufhören soll? Wieso trauen wir unseren Kindern nicht mehr zu? Warum glauben wir selbst, diese Begeisterung nicht mehr zu besitzen? Wo läuft da meistens etwas schief?
Oder, ist das schlussendlich doch nur für kleine Kinder? Muss man da gezwungenermassen mit der Zeit mehr auf ein Kind drücken, damit „was gescheites“ draus wird?
Eigentlich wird diese letztgenannte Idee weder von der Hirnforschung, noch der Natur oder der Logik wirklich unterstützt. Ganz im Gegenteil. Warum hängen wir ihr dann trotzdem so an? Vielleicht nur, weil es das ist, was die meisten von uns so selber erfahren haben? Oder weil uns die Alternative fehlt?

Von innen heraus ist (trotzdem) noch vielerorts zu finden
Dass es aber auch anders geht beweisen uns, auch wenn es im Alltag eher selten gesehen ist, trotzdem eine recht grosse Anzahl Menschen. Ich stelle mir vor, von der Kunst zum Beispiel, welcher Art auch immer, wäre nur sehr wenig vorhanden, ohne diese intrinsische Motivation. Sei es ein Bild, ein gutes Musikstück, oder die Planung eines ganz speziellen Gebäudes: Ohne inneren Flow wäre keines davon wirklich möglich.
“Flow” ist dann auch der Name auf „Neudeutsch“, welche in der Regel diesem Zustand gegeben wird. Auch neue Ideen, welche mit viel Herzblut umgesetzt werden – dafür braucht es ebenfalls viel inneren Antrieb. Ohne diesen würde nicht viel Neues entstehen.
Auch Schulkinder könnten so viel mehr lernen, in der gleichen Zeit. Zugegeben: Nicht unbedingt genau das, was in diesem Moment von der Lehrerin vorgesehen wäre. Vielleicht noch nicht mal das, was dieses Schuljahr vom Lehrplan vorgesehen ist. Aber, wie wichtig ist das denn? Wirklich?
Wie relevant ist es, in welchem Jahr nun welche Mathematik gelernt wird? Oder ob jetzt in der 4. Klasse die “Schweiz” durchgenommen wird, oder halt erst in der 7. Klasse? Oder auch erst mit 21 Jahren, ganz bestimmt geht auch das noch. Weil, ja weil nämlich in der Zwischenzeit ein gutes Verhältnis zum Lernen beibehalten werden konnte. Weil Lernen immer noch begeistert und Giesskannen voller Glücksbotenstoffe im Gehirn ausschütten kann (frei von mir ausformuliert nach Gerald Hüther). Diese wiederum sind (mit-)verantwortlich für das Wachstum von neuen Neuronen und vor allem neuen Verbindungen derselben.
Ich behaupte darum mal: Wenn wir uns von der Idee verabschieden könnten, dass alle das Gleiche und erst noch in der gleichen Zeit lernen müssten, dann würde so unglaublich viel mehr gelernt werden. Und es ginge erst noch viel leichter und einfacher vonstatten.

Überspitzt formuliert, gehören wir, nach neun Jahren Schulung auf die eine oder andere Art, schlussendlich alle zu einer von zwei Menschengruppen:
- Menschen welche gelernt haben, dass Lernen Spass macht, dass sie fähig sind, sich etwas selbstständig anzueignen. Menschen welche ihre natürliche Neugier beibehalten haben und Lernen als etwas selbstverständliches, alltägliches und sinngebendes sehen. Vielleicht (oder sogar sicher) haben sie grössere und kleinere Lücken in ihrem Wissen und in ihren Fähigkeiten. Aber sie wissen, dass wenn sie wollen und wenn es für sie wichtig ist, können sie jede davon jederzeit auffüllen. Dies zu tun, kann zu gegebener Zeit Spass machen und sehr befriedigend sein.
- Menschen welche gelernt haben, dass Lernen anstrengend ist und dass man ausserdem ungenügende Noten schreiben kann. Sie haben meist auch gelernt, dass Mathematik/Turnen/Sprache/… (Fächer sind hier beliebig austauschbar) keinen Spass machen kann, extrem schwierig ist und dass sie wohl zu dumm dafür sind. Wenn sie sich extrem anstrengen, dann können sie eventuell anderen Leuten eine Freude bereiten, oder auch nicht. Sie haben gelernt, dass sie diese Dinge besser vermeiden, wollen sie ihr Leben geniessen. Sie haben gelernt, dass Fehler schlechte Noten verursachen.
Ebenso wie die erste Gruppe, hat auch die zweite Wissenslücken. Nur – welche der beiden füllt sie bei Bedarf einfacher und eher auf? Welche der Beiden traut sich trotzdem etwas zu? Welche erreicht wohl eher ein angestrebtes Ziel?
Nun, Gott sei Dank ist das echte Leben selten so schwarz-weiss. Dazwischen liegen immer viele Farbtöne. Auch hier liegt die Wahrheit meistens irgendwo in diesen Farben dazwischen. Einen mehr oder weniger grossen Funken Lernfreude können die meisten Menschen doch noch hinüberretten und am Leben erhalten. Sonst würde nicht mehr viel laufen.
Aber – wie viel mehr könnten wir als als Individuen und vor allem auch als Gesellschaft erreichen, wenn nur schon etwas mehr Menschen etwas mehr in der ersten Gruppe leben könnten? Wenn es einfach ein bisschen mehr von der ersten Gruppe gäbe? Wenn Lernen auch noch nach 9 Schuljahren Spass machen könnte. Ganz ohne Sternchen und Noten. Sondern aus einem inneren Bedürfnis heraus.