Eine der Kritikthemen, welche von Aussenstehenden beim Home- oder Unschooling vielleicht am häufigsten auftaucht, ist das der „Sozialisation“. Wie sollen die Kinder denn „sozial“ werden, wenn sie immer nur alleine zuhause sitzen und in der Stube lernen? Wie sollen sie sich mit gleichalterigen auseinandersetzen können, ohne Klasse mit selbigen? Wie in sozialen Strukturen zurecht kommen, wenn sie nie „in einer Klasse sein müssen“?

Nun, dazu gibt es ganz ganz viel zu erzählen. Ich könnte bestimmt ohne Probleme ein Buch damit füllen. Extrem knapp formuliert, breche ich dieses riesige Thema hier aber erst mal auf nur zwei Punkte herunter:

  1. In aller Regel stellt das Lernen alleine in der Stube nur einen ganz kleinen Teil im Alltag eines zuhause unterrichteten Kindes dar. Von dem her ist sowohl der englische Begriff „Homeschooling“, sowie auch der deutsche Begriff „Bildung zu Hause“ eigentlich eher schlecht gewählt. „Die Welt ist mein Klassenzimmer“ – das würde es oft viel besser treffen.
  2. Vom ersten Punkt völlig abgesehen, stelle ich hier mal die Frage in den Raum, was es denn überhaupt genau braucht, um ein Kind sozial aufwachsen zu lassen? Wie geht das genau? Was ist dabei wichtig? Was ist denn überhaupt das am „Schluss gewünschte Resultat“? Ist die Schule, so wie sie heute steht, der wirklich ideale Ort dafür?

In diesem Artikel möchte ich (noch) gar nicht auf den zweiten Punkt eingehen.

In diesem Artikel möchte ich dir stattdessen ein einzelnes ganz konkretes Projekt beschreiben. Eines welches bei uns die ganzen Jahre immer gelaufen ist und als ein Beispiel dienen soll, was wir in den Homeschooling-Jahren zusammen mit anderen Familien und Kindern unternommen haben. Eine von ganz vielen gelaufenen Aktivitäten, in welcher die Kinder sich ganz konkret mit vielen anderen Kindern – von gross bis klein – auseinandergesetzt haben. Wo immer viel soziales Miteinander geübt werden konnte.

Tag – Malen mit unterschiedlichen Materialien – hier wird gerade an einem gemeinsamen Bild gearbeitet

Monatliches Treffen am Freitag

Fast über unsere ganze Homeschoolingzeit hinweg haben wir uns jeweils am 3. Freitag im Monat, fix mit nur ganz wenigen Ausnahmen, in einem mietbaren, ausrangierten Kindergarten getroffen. Von 9 bis circa 16 Uhr. Für jedes Datum konnten sich die einzelnen Familien jeweils an- oder abmelden, im Durchschnitt waren es vielleicht gut 15 Kinder jeden Alters. Vom zweiten Jahr an haben wir zusammen mir einer anderen Familie die Organisation übernommen, waren also für das Zustandekommen sowie den Inhalt verantwortlich.

Ja, und was war denn der Inhalt?

Jeweils Vormittags beschäftigten wir uns mit einem gemeinsamen Thema, oft im handwerklichen Bereich, es war jedoch jedes Thema möglich. So haben wir dort zum Beispiel

  • Laubsägekunstwerke,
    • Weihnachtsguetzli,
    • handgemachte Pasta,
    • oder hübsche Sandkarten hergestellt
  • Papier und Gegenstände marmoriert
  • Papier geschöpft
  • Gipsmasken gebastelt
  • aus recycling Material Neues gebastelt
  • „Realienthemen“ bearbeitet, wie zum Beispiel:
    • Äpfel
    • Getreidekunde
    • Elektrizität
    • die Römer
    • das Mittelalter
  • Spielemorgen organisiert
  • uns mit Mosaiken befasst
  • gefilzt
  • mit Ton gearbeitet
  • Steine geschliffen
  • mit allem möglichen Experimentiert

und noch viele weitere Sachen zusammen erkundet.

Oft haben wir als Organisatoren uns die Themen ausgedacht und das Material organisiert. Manchmal wollten aber auch „die Besuchenden“ etwas mit uns allen teilen, und haben dies dann entsprechend organisiert. Auf jeden Fall kam eigentlich immer eine Menge Material zusammen, mit dem man sich ausgiebig beschäftigen, und in dem auch jeder, ob gross ob klein, genug für sich finden konnte.

Fürs Mittagessen hat dann in der Regel jede Familie ihr eigenes Essen mitgebracht, welches wir gemeinsam gegessen haben. Es gab aber auch Ausnahmen – als wir zum Beispiel den ganzen Morgen Pasta in allen Geschmacksrichtungen und Formen hergestellt hatten – dann haben wir dann auch welche davon gleich zusammen wieder zum Mittag verspiesen 😉

Am Nachmittag haben die einen dann noch weitergearbeitet, mit dem am Morgen begonnenen – andere wollten lieber spielen gehen. Bis am Ende des Nachmittag waren dann immer die allermeisten Kinder zusammen am Spielen, je nach Wetter eher drinnen oder draussen. Wir Eltern hatten dann normalerweise auch gut Zeit für vertieftere Gespräche und unseren eigenen sozialen Austausch.

Tag – Gestalten mit Papier und Karton

Was mir dabei noch besonders aufgefallen ist:

  • Bis auf umständehalber wenige Ausnahmen war das immer sehr friedlich. Die Kinder verhielten sich kooperativ miteinander. Einander helfen und unterstützen war normal.
  • Kleine Kinder wurden in der Regel freiwillig integriert und waren dann ganz natürlich auch mit von der Partie. Das war den meisten grösseren Geschwistern aus sich heraus wichtig, dass auch die Kleinen mitmachen konnten. Logisch hat ein kleines Geschwister auch einfach mal genervt, aber das war eher die Ausnahme als die Regel.
  • Mädchen und Jungs spielten ohne Probleme zusammen. Zwar teilte sich das Spiel manchmal in eher „Mädchen- oder Jungsthemen“ auf – aber das andere Geschlecht war grundsätzlich immer auch willkommen. Es gab ganz normal viele Freundschaften zwischen Jungs und Mädchen.
  • Auch „Einzigartikeiten“ hatten unkompliziert ihren Platz. So etwas wie „ausgeschlossene Kinder“ gab es praktisch nicht. Bestimmte Kleidungsstücke, Marken, oder andere Statussymbole waren weitestgehend irrelevant. Jeder wurde so angenommen, wie er war.

Die Aktivitäten haben sich auch oft nicht nur auf diesen einen Tag beschränkt. Manche Themen wurden von manchen Familien, je nach Interesse, schon im Vorfeld angeschaut und vorbereitet. Oder es war noch eine Zeitlang länger Thema, wieder zuhause, in der Familie. Bei uns wurde oft noch tagelang munter weiterproduziert. Zum Beispiel haben wir immer noch soviel selbstgeschöpftes Papier im Haus gelagert, dass wir wahrscheinlich bis ans Ende der Tage Weihnachtskarten davon basteln könnten 🙂

Eine andere Erfahrung welche wir in dieser Zeit immer wieder gemacht haben, welche ich gerne mit dir teilen möchte, ist – Viele Firmen haben Freude daran, Projekte für Kinder zu unterstützen. Da wir immer mal wieder recht viel Material gebraucht haben, wäre das ausschliessliche Einkaufen in der Bastelabteilung von Migros oder Coop für solche Projekte schlicht zu teuer gewesen. (Wir hatten ein Budget von 5 Franken Material pro Kind pro Tag) Also haben wir manchmal bei entsprechenden Firmen nachgefragt, ob sie vielleicht günstig ein benötigtes Produkt zu geben hätten – zum Beispiel grosse Papierbögen. Und sind auf diese Weise oft überraschend zu ganz tollem Material gekommen, Restposten oder Ungebrauchtes, welches uns – für das Projekt mit Kindern – oft sogar kostenlos gegeben wurde.

Nach der „Arbeit“ – gemeinsames Spielen auf dem Spielplatz gleich nebenan.

Dazumal hatten wir bei diesem Projekt einen Einzugskreis von mehreren Kantonen. Heutzutage gibt es viele mehr zuhause unterrichtete Kinder, so dass jede einzelne Familie viel weniger weit reisen muss, um sich in einer vergleichbaren Gruppe treffen zu können.

Im Verlaufe der Zeit ergaben sich auch etliche gute Freundschaften unter den Kindern und Eltern. Wir haben uns auch ausserhalb dieses einen Termins immer wieder mit dort kennengelernten Familien getroffen. Sei es einfach nur zum „Käfele“ und Spielen, oder um grössere Projekte gemeinsam anzugehen.

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Dezember 7, 2024