Wie schon der Artikel über Postcrossing, stammt auch dieser Text aus früheren Jahren. Ich habe ihn hier neu bereitgestellt, weil er sehr viel darüber erzählt, wie Kinder lernen, oder eben auch nicht. Wie einfach etwas in den Kopf geht – und auch nachhaltig dort bleibt – wenn das Interesse da ist. Und wie zäh und schwierig es eben meistens ist, wenn das eigene innere Interesse, die innere Motivation dazu, fehlt.

Eigentlich ist das ja nicht nur bei Kindern so…

Vom Lernen der Uhrzeit – oder von den möglichen Tücken im Homeschooling-Alltag…

Wie aus meinen letzten Artikeln leicht zu entnehmen ist, halte ich nicht viel von erzwungenem Lernen. Sind oder waren meine Kinder in diesem Fall alle komplett frei davon? Nein.

Denn es sind zwei komplett verschiedene Paar Schuhe, die Idee und den Glauben und die Überzeugung zu etwas zu haben – und diese dann auch immer in jeder Situation durchzusetzen. Schnell kann es sein, dass man Druck nachgibt, sei es “echter” Druck von aussen, oder nur eingebildeter, respektive selbstgemachter. 

Wenn ich mich/uns aber unter Druck setzen lasse, dann meistens nur, um am Ende einmal mehr festzustellen, dass wir jetzt eben ziemlich Zeit und Energie verschwendet haben. Diese hätte durchaus schöner und auch effizienter gebraucht werden können. 

Welche Rolle spielt die Uhrzeit?

Zum Beispiel das leidige Thema der Uhrzeit. Gleich zwei meiner Kinder haben die Uhrzeit erst reichlich spät gelernt. Wohl weil sie in ihrem Alltag für sie einfach keine wichtige Rolle spielte. Es war ihnen schlicht pupsegal , wie spät es war. Mindestens den Zahlen nach. Ihr Tag teilte sich in Abschnitte wie, “nach dem Frühstück”, “während der Klavierstunde”, “wenn wir in die Badi gehen” oder “nach dem Abendessen”, ein. Sie konnten zwar ebenfalls Angaben wie, “in fünf Minuten” oder “in einer Stunde”, etwa einschätzen, aber darüber hinaus ging es eigentlich lange nicht. 

Die eigene innere Unruhe…

Bei unserer Jüngsten liess mich das irgendwann unruhig werden. Standardfeststellungen wie “in diesem Alter sollte man das langsam können”, kämpften in meinem Gehirn zunehmend um Aufmerksamkeit. Auch Gedanken über den Lehrplan, den nächsten Inspektorbesuch, oder brave Schulkinder, welche das natürlich alle jetzt schon lange können, drängten sich immer mehr in den Vordergrund. 

So erklärte ich ihr eines schönen Tages, dass wir nun die Uhrzeit lernen werden. Jeden Tag ein bisschen. Ihren Protest habe ich geflissentlich überhört. So verbrachten wir also (fast) jeden Tag einige Zeit mit der Uhrzeit. Es gab zum Beispiel eine Lernuhr zum Zeiger einstellen, gezeichnete Uhren und natürlich auch Arbeitsblätter, schön aufeinander aufbauend.

Weil Kinder ja bekanntlich gefallen wollen, hat sie, nach erstem Protest, auch ziemlich brav mitgemacht. Hat Zeiger gedreht, Uhren gemalt und Blätter ausgefüllt… Nur gelernt hat sie nicht wirklich viel… Obwohl sie die Übungen gemacht hat, ist der Inhalt irgendwie direkt an ihr vorbei. Es gab da für sie nichts interessantes zum Andocken, in diesem Moment, also ist das mögliche Verstehen halt einfach vorbei geschwommen. 

Viel Aufwand, unglaublich wenig Resultat…

Natürlich herrschte jedesmal nicht unbedingt eine Superstimmung und das Ganze war damit für alle ziemlich ätzend. Eigentlich war es einfach ein effektiver Weg, Zeit und Energie und Freude totzuschlagen. Nicht viel mehr. 

Eine Uhr als Weihnachtsgeschenk?

Irgendwann habe ich es wieder ein bisschen aufgegeben. Dann halt eben nicht jetzt. Irgendwann wohl schon noch… 

Weihnachten näherten sich. In einem Laden entdeckte ich eine Uhr für Kinder mit Uhrwerk zum selber zusammenzustecken. Sie läuft, wenn sie aufgezogen wird, für etwa zwei Stunden mechanisch und man kann ihr dabei zuschauen. 

Ich fand die Uhr cool! Sollte ich sie ihr schenken? “Naja… Helene… ist Weihnachen… das Geschenk sollte für deine Tochter sein, nicht für dich.”

Ich habe sie also wieder ins Gestell zurückgelegt. Mein Freund meinte dann, ich solle sie ihr doch schenken. Muss ja nicht das Einzige sein. Kann ja einfach ein Zusatz sein. 

Tönt einleuchtend. Eine Uhr zum Zusammensetzen also, als kleiner Zusatz. 

Mit Interesse kann es so einfach sein

Dann – die grosse Weihnachts-Überraschung: Das Uhr-Geschenk ist voll angekommen! Schon am 25. Dezember hat sie sie, nach dem Auspacken, wieder in die Hände genommen und wollte sie zusammensetzen. SIE wollte! 

Gewollt – gemacht. Wir haben die Uhr also Schritt für Schritt zusammengesetzt und schon ganz viel gelernt dabei. 

Dann – welch ein Schicksal – war der Aufzieher kaputt. Die Uhr hat nicht mal funktioniert. 

Sobald als möglich ging es also nochmals in den Laden, wo wir eine neue Uhr bekommen haben. Diese musste natürlich nochmals zusammengesetzt werden. Nochmals zusammensetzen bedeutet auch nochmals alles besprechen, sich nochmals durch den ganzen Prozess durcharbeiten.

Diesmal funktionierte dann auch alles! Gleich ausprobieren. Wie lange läuft sie? Wie muss sie jetzt eingestellt werden? Wann ist es Abend?

Diesmal war sie mit dem Herzen dabei und hat dabei sogar vergessen, dass sie die Uhrzeit eigentlich nicht mag. Und plötzlich ging es! Plötzlich hat sie die Uhr samt ihrem Prinzip verstanden. In viel kürzerer Zeit hat sie viel mehr von der Uhrzeit verstanden, als in all den erzwungenen Lektionen davor.

Die Uhr war noch einige Zeit in regelmässigem Einsatz, immer wenn kürzere Zeitfenster gemessen werden mussten. Dann verschwand sie wieder mehr oder weniger von der Bildfläche. Sie steht jetzt im Kinderzimmer in einer Ecke und döst wahrscheinlich vor sich hin. 

Aber sie hat zwei Dinge hinterlassen: 

  • Ein viel, viel besseres Verständnis der Uhrzeit, seitens meiner Tochter.
  • Eine vertiefte Erkenntnis meinerseits, wie viel einfacher, schneller, leichter und schöner sich lernen lässt, wenn Engagement von Seite des Lernenden dabei ist. 

Wieder vorwärts in die Gegenwart

Unterdessen fristet diese Uhr ein vielleicht etwas trauriges, vergessenes Leben in einer Estrichschachtel. Besagte Jüngste ist, auf eigenem Wunsch, seit einem Jahr in der öffentlichen Schule und hat diesen Sommer die zweite Bez begonnen. Darum sieht das Zimmer unterdessen auch etwas anders aus – und für die alte Uhr ist da kein Platz mehr. Dafür hat sie gerade auf den letzten Geburtstag den Wunsch einer neuen, sorgfältig von ihr ausgewählten, Armbanduhr erfüllt gekriegt. Und zwar eine, bei der sich noch richtige Zeiger im Kreis herumdrehen. Die in ihrem Inneren darum gar nicht soo anders aussieht, als die, welche sie vor Jahren zu Weihnachten gekriegt hat.

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